Sagen

Zu Höherem berufen......


Zu Höherem berufen......

 

Heimaterzählung aus dem Müllenbacher Dachschieferbergbau

 

 

Bis zum Jahre 1692 vermochte der Schiefergräber Jodokus Haferkamp in Müllenbach seinen Vorfahren als fleißigen Bergleuten lückenlos von Geschlecht zu Geschlecht nachzuspüren. Sie waren Kaulenmänner von untadeligem Ruf und schürften schon die wegen ihrer Dünne und Leichte, sowie ihrer schönen blauen Farbe und Wetterbeständigkeit bevorzugten Müllenbacher ”Leyen” im Kaulen,- Sester- und Endertbachtal, als man den Schachtabbau noch nicht kannte, sondern im Tagebau und später im Stollenabbau die zur Häuserbedachung begehrten Schiefersteine grub. Die Ahnen des Bergmanns Haferkamp brachen die Leien noch mühselig mit Handgeräten und trugen sie „über Rück” mit dem „Schuwerak” (Kissen mit Tragegestell) auf steilen Felsentreppen oder Leitern hinauf ans Tageslicht. Dazumal herrschte in den Schieferbrecherfamilien von Müllenbach, Leienkaul und Laubach trotz allen Fleißes oft bittere Armut und Not, obschon Frauen und Kinder wacker ums tägliche Brot mitschafften. Und mancher brave Bergmann mußte bei der gefährlichen Arbeit drunten in den dunklen Stollen sein Leben lassen. Nicht ohne Grund behauptete der Volksmund in den Schiefergräberdörfern, der Kaulenmann trage ständig sein Totenhemd am Leibe, und die Bergmannskinder dort beten seit Generationen kein Gebet inniger als das zur Schutzheiligen ihrer Väter und Brüder.

 

 



Sankt Barbara, bei Tag und Nacht
fahr mit dem Vater in den Schacht!
Steh du ihm bei in aller Not,
Bewahr ihn vor dem jähen Tod!
Amen”


Im Hause des Bergknappen Haferkamp, das nahe der Schutthalde am Hügelhang lehnte, saß die Familie beim Mittagsmahl, als ein halbwüchsiges Zigeunermädchen barfüßig zur Tür hereintänzelte und um ein wenig Milch für ihr krankes Brüderlein bettelte. Mutter Haferkamp schlurfte in den Geißenstall nebenan und molk dem Mädchen einen Schoppen fetter Ziegenmilch. Das war darüber sichtlich so überrascht, daß es hurtig zum Tisch schritt , die Hand des neunjährigen Klaus ergriff, sie in ihre legte und die kindliche Handfläche sinnend betrachtend heraussprudelte: „Schön Jüngelchen – bist zu Höherem berufen!” Eine weile noch ruhte die rosige Kinderhand reglos in der der braunen Bettlerin – dann wurden die Züge des fremden Mädchens jäh tiefernst und es schlüpfte leichtfüßig hinaus. Es war mäuschenstill in der Stube, und niemand sprach ein Wort. Man löffelte schweigend die Kartoffelsuppe als sei nichts geschehen – bis Notburga, das älteste der beiden Bergmannskinder, das Tischgebet anstimmte:

Sankt Barbara, du edle Braut,
mein Leib und Seel sei dir anvertraut,
sowohl im Leben als im Tod,
steh mir bei in jeder Not.
Hilf mir an meinem letzten End,
daß ich empfang die heiligen Sakrament !
Amen ”


Die Jahre gingen dahin, Notburga heiratete einen braven Schieferspalter aus Masburg, den es auf dem Bergmannsfest am St. Barbaratag kennengelernt hatte. Klaus hütete Sommertags nach der Schule die Geißen, wie alle Müllenbacher Bergmannskinder es seit Menschengedenken tun. Längst dachte im Hause Haferkamp keiner mehr an das braune Zigeunermädchen und seine wunderlichen Worte zu des Knaben Handlinien. Es lag in der hergebrachten Ordnung, daß Klaus nach der Schulentlassung mit dem Vater zur „Kaul” ging, um erst als Schlepper 3 Jahre in den Strecken und Stollen zu werken und danach Steinbrecher oder Schieferhauer zu werden. Als er erstmals an der Hand des Vaters zum Maria-Schacht am Sesterbach hinabschritt, (Kaffeeblech und Schichtbrot im umgehängten Zwerchsack) Steiger Ellberger seinen Namen in ein dickes Buch einschrieb und ihm dann freundlich lächelnd Grubenlampe und Nummernschild überreichte, da glomm in des Knaben Brust ein stolzes Gefühl und der Vorsatz auf, ein tüchtiger „Kaulenmann” wie alle seine Vorväter zu werden. Nach dem verlesen der Namen sprachen die Bergknappen entblößten Hauptes das herkömmliche Vaterunser zu ihrer Schutzpatronin Barbara, der Steiger rief ein lautes „Glück Auf”, und dann riß sie der Förderkorb hinab in die Tiefe. Auf der letzten Abbausohle stieg Klaus mit dem Vater aus und kroch durch dunkle Gänge und Stollen, bis sie „vor Ort” ankamen, wo das schwarzblaue Schiefergestein in schrägen „Richten” 150 Meter tief im Endertgebirge abgebaut wird.

Das Tagewerk in der Schiefergrube war bei kargem Lohn mühevoll und schwer, aber die Müllenbacher Knappen ertrugen ihr hartes Leben wie ein unabwendbares Schicksal mit frommfroher Gelassenheit – ihr heiterer Sinn und unbeschwerter Humor ist seid je auf der Voreifelhöhe sprichwörtlich. Der Jungbergmann Klaus Haferkamp fand sich rasch zurecht und fühlte sich wohl und zufrieden im Kreise der Gedingekameradschaft Er war anstellig und fleißig, schob unermüdlich die „Hunde” (Förderwagen) über die Feldbahngleise zum Schacht oder ging den Steinhauern umsichtig zur Hand, wenn sie Sprenglöcher tief ins Gestein bohrten und mit Sprengpulver füllten. Zuweilen stieg er auch nach Kinderart neugierig die schrägen „Rutschen” hinauf oder untersuchte einen toten Stollen, der notdürftig mit taubem Gestein versetzt war – dann hoffte der Knabe klopfenden Herzens, dem „Kaulenmännchen” zu begegnen, dem koboldartigen guten Berggeist der Müllenbacher Schiefergräber. Aber nichts dergleichen trug sich zu.

Ein halbes Jahr mochte vergangen sein, seit der Knabe Klaus Bergmann geworden. Da geschah es in der Halbschichtpause, daß die Steinhauer wie gewöhnlich auf den Gezähekisten hockten, ihre Schichtbrote verzehrten, kalten Kaffee dazu tranken und „Bergrat” hielten. ”Der Maria-Schacht soll zwei Stockwerke tiefer getrieben werden und neue Abbausohlen erhalten, weil die Steine in dieser tiefe schöner und härter sind. Mit dem Abteufen des Schachts wird bald begonnen – wir sind dann schon 200 Meter tief „unter Tag”. Klaus starrte den Sprecher nachdenklich an. „Es geht also immer tiefer in die Erde hinein – mir soll es recht sein!”, sann er grübelnd vor sich hin. Als er aufschaute, gewahrte er die Karbidlampen in den Strecken und vor Ort blaken. Ihr Schein flackerte geisterhaft zum Hangenden empor, glitt über die Holzstreben des Verbaues, warf zitternde Schatten ins Liegende und spielte huschend über die harten Gesichter der Knappen hinweg. Aus der Ferne drang dumpf das Taktgeräusch der arbeitenden Wasserpumpen.

„Immer tiefer – schon zweihundert und zehn Meter”, klang es in des Jungen Seele nach. Und just in diesem Augenblick – wie unberechenbar doch der Menschenkinder Gedanken sind  - fiel im erstmals nach langen Jahren unbegreiflicherweise das Orakelwort des fremden Mädchens daheim in der Stube ein, damals, als er noch ein Kind war, jener Spruch, den es aus seiner zarten Knabenhand las vor Freude darüber, daß es von der Mutter ein Krüglein fetter Geißenmilch für ihr Brüderchen bekam: „Schön Jüngelchen – zu Höherem berufen!”
„Zu Höherem berufen!” Der junge Schieferschlepper deutete die Prophezeiung in seiner Herzenseinfalt allzu wörtlich. „Noch achtzig Meter tiefer in den dunklen Berg – es müßte nun doch bald eigentlich in die Höhe gehen mit mir, wenn das Zigeunerkind meine Zukunft recht schaute!” Weiß Gott, seit jenem Tag hämmerte es ihm in Augenblicken der Muße unablässig in Hirn und Herz: „Zu Höherem berufen!” Der Junge wehrte sich verzweifelt gegen die Stimme, die so weich und lockend aus den dämmrigen Stollen und Strecken klang wie damals aus fremdem Mädchenmund. Wenn er wieder zur Halbschichtpause auf der Werkzeugkiste im Kreise der Kameradschaft saß und den meist älteren Kumpeln in ihre bleichen Gesichter blickte, dann kamen ihm immer krausere Gedanken. Er berührte einmal dabei leise des Vaters verschaffte Hand und grübelte: „Da heißen wir beide nun Haferkamp. Der Name stammt wohl aus jener grauen Vorzeit, da die Ahnen noch freie Ackerbauern über Tage waren, ihre Häuser mit Stroh deckten und nichts vom Schieferbergbau wußten. Wir halten im sichtbarlichen Gedenken an jene Urtage noch die drei Ziegen, die heuer „Kaulemannskühe” heißen und pflanzen unsere steinigen Kartoffelacker. Aber wir müßten nun längst nicht mehr Haferkamp, sondern „Moltroff” heißen, alle Müllenbacher Schieferbrecher müßten so heißen, denn menschliche „Maulwürfe” sind wir geworden tief unter der Erde, die wir einst oben im Sonnenschein beackerten – gewißlich in unserer Art glückliche Maulwürfe! Denn es fiel ihm nicht ohne Stolz ein, wie früher der vorzügliche Müllenbacher Dachschiefer  - so erzählten die Alten – mit Fuhrwerken nach Klotten geschurgt wurde, um von dort die weite Reise zu Schiff bis nach dem reichen Holland anzutreten. Auch seines allzeit fröhlichen Taufpaten Nikolaus, seiner Mutter jüngster Bruder, mußte er in solchen Augenblicken wehmütig gedenken. Er wurde drei Wochen vor seiner Hochzeit im Colonia-Schacht von einer herabstürzenden Grauwacke heimtückisch erschlagen und ruhte nun stumm droben im großen Bergmannsgrab auf dem Dorffriedhof.


Nach einer solchen Sinnierer-Schicht blieb Klaus auf dem Heimweg über Tage plötzlich vor der Spalterhalle stehen. Lange schaute er aufmerksam zu, wie der Schieferspalter und Zurichter mit geschickten und flinken Händen Steinsäge, Spalt - und Kippeisen führten, um damit die ungefügen Schieferblöcke in halbzentimeterdicke Platten und Tafeln zu zerlegen, in Rechtecke, Rauten und Schuppen zu behauen, in Königsschiefer, Ort-, Fuß-, First- und Kehlsteine. Das altdeutsche Modell in seinen verschiedenen Größen bildet die gebräuchlichste der exakt behauenen Müllenbacher Dachleien. Die fertigen Schiefer sind in langen Reihen auf dem Lagerplatz gestapelt, an den sich die riesigen Schutt – und Abfallhalden anschließen. Sommertags sitzen die Spalter und Zurichter im freien vor dem Spalthaus, über Winter aber geschützt drinnen in der Halle. Oft arbeiten sie im „Gedinge” mit einer Gruppe von Steingräbern zusammen. Die Spalter haben immer Eile, da guter Schieferstein, der unbearbeitet lange an der Luft liegt, rasch austrocknet, und sich dann nur mehr schlecht spalten läßt.

„Aus der Tiefe zur Höhe – von Untertag zu Übertag!”, flüsterten seit dieser Stunde jene geheimnisvollen Stimmen Klaus Haferkamp zu. Ja, er wollte nicht drunten Steinbrecher bleiben, sondern höher oben im leuchtenden Sonnenlicht Schieferspalter werden! Dem Vater war es recht, und der Steiger, der den feingliedrigen und anstelligen Jungen in sein Herz geschlossen und väterlich liebte, versprach ihm gar, das halbe Jahr von drunten voll auf die Lehrzeit anzurechnen. Mit bewundernswertem Eifer gab sich der Spalterlehrling dem neuen Handwerk hin. Nach einem weiteren Halbjahr erklärten Spalter – und Zurichtermeister zugleich, Klaus könne nun nichts mehr von ihnen lernen und erreichten es beim Steiger, das der Junge halben Gesellenlohn erhielt. Darauf war er seiner Mutter wegen sehr stolz. Er fühlte, wie er immer inniger schicksalhaft mit dem blauen Schieferstein der Heimatberge auf Gedeih und Verderb verwuchs, wie es ihn gleichsam mit magischer Gewalt stärker und unlöslicher zu dem kostbaren Werkstoff hinzog, bei dessen Bearbeitung das Blut langer Ahnenreihen beseligend in ihm sang. Er ahnte dunkel, nie würde er von dem Schicksalsstein seiner Eifelheimat mehr loskommen. Das wurde ihm noch bewußter, wenn ihn der Vater gelegentlich mit nach Mayen zum Lukasmarkt nahm oder im nahen Cochem im weinfrohen Moseltal. Indes seine Altersgenossen sich ungezügelt den Marktherrlichkeiten hingaben, stand Klaus vor den stolzen Bürger – und Kaufhäusern, den streng nüchternen Amtsgebäuden, dem Rathaus, dem schiefgedrehten Mayener Kirchturm und der Genovevaburg oder der Cochemer barockenen St. Martins Zwiebelkuppel. Alle waren mit dem wundervoll blauschimmernden Müllenbacher Schieferstein kunstvoll gedeckt und bedacht, auf den die späte Herbstsonne lieblich Kringel malte. Und unter den schützenden Schieferdächern werkten und wohnten die Menschen wohlgeborgen in Haus und Heim. Berufs – und Heimatstolz schwellten dann zugleich beglückt seine Brust.
Was Wunder, wenn letztlich der Wunsch, Dachdecker zu werden – Schiefer oder Leiendeckermeister – in ihm aufglomm, sein Herz unruhig machte und sein Gemüt bewegte. „Zu Höherem berufen!”, hatte das Zigeunerkind seherisch geraunt! Das Höhere, das Höchste, Gipfel und die Krone im Werken um den Schieferstein schien im nun die schöpferisch-edle Handwerkskunst des Dachdeckermeisters zu sein. Nichts anderes als das konnte das verzückte Kind mit seinem geheimnisumwitterten Prophetenwort gemeint haben. Hoch hinauf in die Einsamkeit zwischen Himmel und Erde, erhaben über dem Menschengewimmel drunten, immer höher auf die Dächer der Menschenhäuser bis zur höchsten Turmspitze der Gotteswohnungen, der heiligen Kapellen, Kirchen, Münster und Dome. Ob aber der Vater Verständnis für jenen Drang in seiner Brust aufbringt und ihn zu einem Leiendecker in die Lehre gibt – jetzt noch, da er schon so gut verdient und man die raren Taler daheim bitter notwendig braucht?

Der Kaulenmann Jodokus Haferkamp hatte Verständnis für das Herzensanliegen seines Sohnes und schickte ihn ohne Vorwurf zum Leien-Kläs nach Laubach in die Lehre. Niemals vorher noch nachher – so versicherte der Laubacher Meister später – habe er einen willigeren lernbegeisterten Schüler gehabt, wie den jungen Klaus Haferkamp aus Müllenbach. Keine Mühe war ihm zuviel. Er ließ sich nicht verdrießen, an den langen Sommertagen bis spätabends auf den heißen Dachböden, Speichern und unter den glühenden Scheunendächern geduldig auszuharren, um dem Meister durch Luken und Fenster nach draußen das Werkgerät zu reichen, Dachhammer, Leieneisen, Nägel und vor allem die feinbehauenen Schiefersteine. Unermüdlich schleppte er von unten Werkzeuge und Werkstoffe die Treppe hoch zu schwindelnden Höhen. Und wie andächtig und ehrfürchtig verfolgte der Junge die flinken Meisterhände, wenn sie kunstvoll Schiefer um Schiefer wie Schuppen am Fischleib übereinander schoben, bis das Werk bündig vollendet war. Erst im zweiten Lehrjahr sollte Klaus nach außen mit aufs Dach dürfen. Wie brannte ihm das Herz nach dieser Stunde der Erfüllung seines jungen Lebens.

Weiß Gott, wie es eigentlich zuging an jenem heißen Laurentiustag in Kaisersesch, wo Meister Leien-Kläs den schiefgedrehten Balduinsturm der Pfarrkirche frisch beschieferte. Nach dem Mittagsmahl legte sich der Meister ein Stündlein in den Schatten eines Baumes zum Schlafe nieder und bedeutete Klaus, es ihm nachzutun. Der Dacharbeit im glühenden Sonnenbrand hält ohne zwischenzeitliche Ruhepause auch der kräftigste Körper nicht lange stand. Jedenfalls folgte der Junge nicht gleich dem Rat seines Meisters, sondern stieg nochmals innen im Turm hoch. Eine Frau beobachtete vom „Wasem” aus, wie er eine Zeitlang den Kopf zur Turmluke herausstreckte und versunken von hoher Warte Umschau ins weite Land hielt.

Um die Turmspitze schaukelte der am Turmknauf mit Stricken befestigte leere Meisterstuhl. Über dem Turmkreuz drehte sich langsam der Wetterhahn nach Osten, Schwalben flitzten um die Turmpyramide. Auf den Kreuzbalken kreischten zänkisch zwei Dohlen. Tief drunten erschienen die Häuser des schmucken Marktfleckens wie Spielzeugbauten in die liebliche Quellmulde des Pommerbaches hingeschüttet. Drüben über den Langheckwäldern stand unbeweglich ein Raubvogel im wolkenlosen Himmel. Rechts kroch die alte Heerstraße den „Stier” hinauf. Und über all der ausgebreiteten Heimatherrlichkeit strahlte die Augustsonne wie ein gütiges Gottesauge....

Sei es, daß der junge Schieferdecker überwältigt von der Schau und der brennenden Liebe zu Stein und Beruf beschloß, nach außen zu steigen, um sich noch tiefer vollzutrinken an der Heimatschönheit – sei es, daß er mit den Händen zärtlich die heißen Turmschiefer streichelte und beim Sprung auf den Meisterstuhl das Sitzbrett verfehlte – sei es, daß ihn im Höhenrausch ein Schwindel ergriff oder ein Herzschlag lähmte – sei es, daß der Hängestuhl wegen des ungestümen Anpralls ins Schwanken geriet – wer vermöchte das nachträglich zu ergründen! Kopfüber sauste der Junge aus schwindelnder Turmhöhe hinunter, schlug hart auf das Dach des Mittelschiffes auf, rutschte auf der Wetterseite abwärts und glitt dann über die Dachrinne zur Erde, wo der leblose Körper zerschmettert liegen blieb. Der ausgedörrte Boden trank gierig das junge Blut....

„Zu Höherem berufen !” Der greise Pater Prior aus dem Kloster Martental drunten zwischen den schroffen Schieferfelsen der Wilden Endert, der die Müllenbacher Pfarrstelle mitverwaltete, schien das tragische Schicksal des Höhenstürmers Klaus Haferkamp zu erahnen. Als seine drei Schaufeln verwitterte Schiefererde auf den Sargdeckel polterten, sprach er zu der ergriffenen Trauergemeinde der drei Kaulendörfer: Von Untertage zu Übertag und wieder zurück nach Untertage – das ist Leibeslos! Höher mein Gott zu dir – aber das Los der Seele! Dem Gestein der Heimat verschworen im Erdenmühen die verwesliche Hülle  - dem Höhensturm zum Himmel der unsterbliche Geist. Nicht was der Mann werkt, sondern wie er werkt, gilt vor dem Allerhöchsten! Im Jubel des geschlossenen Rings der Ewigkeit erfüllte sich ein Werkmannsleben – Ein „Glück Auf!” allen braven Bergknappen, wenn die Zeit sich erfüllt! Amen.

Auf den Grabhügel von Klaus Haferkamp setzte man einen blauschimmernden Schiefersteinblock. Darin grub der Steinmetz den Namen des verblichenen ein und darunter die leuchtenden Sinnbilder der Bergknappen: Grubenlampe, Schlegel und Steinhammer. Wenn aber die rauhen Eifelwinde über den Gedenkstein fegen, dann klingt es bisweilen, als flüsterten aus den immergrünen Büschen Mädchenlippen geheimnisvoll und tröstlich zugleich: „Schön Jüngelchen – zum Höchsten berufen!”




( Quelle: Erzählung nach Robert Kraemer im Sagenborn der Heimat, Heft 5 von 1958)

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